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Gepanschte Zytostatika – Krebsmedikamente in der alten Apotheke

22.04.2022

Krebsmedikamente in der alten Apotheke

Es kann keine zwei Meinungen darüber geben, dass dieser Fall einer der größten Skandale der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist.
Was ist geschehen?

Peter Stadtmann, der ehemalige Inhaber und Betreiber der „Alten Apotheke“ in Bottrop, verdiente Unsummen mit verwerflichen Methoden. Er war approbierter Apotheker, dessen Apotheke sich neben dem gewöhnlichen Apothekenbetrieb auf das Herstellen patientenindividueller Arzneimittelzubereitungen für die Krebstherapie spezialisiert hatte. Er stellte die Medikamente her und veräußerte sie im Anschluss an medizinische Einrichtungen, wie Krankenhäuser. Damit erzielte er einen Jahresumsatz von etwa 40 Millionen EUR. Das zeigte sich auch an seiner Villa mit Indoor-Edelstahl-Wasserrutsche, deren Eingang im Badezimmer im ersten Stock zu finden war und bis in den Pool im Erdgeschoss reichte. Gleichzeitig genoss er hohes Ansehen in der Gemeinde – bis einige mutige Mitarbeiter, Polizei und Staatsanwaltschaft seine Machenschaften aufdeckten.

Zwischen dem Jahr 2012 und 2016 kam im engen Kreis der Mitarbeiter der Apotheke der Verdacht auf, dass die eigens hergestellten Medikamente nicht die medizinisch korrekte Dosierung enthielten, sondern gezielt weniger der teuren Wirkstoffe verwendet wurden – zur Gewinnmaximierung des Herrn Stadtmann. Zudem sollen insbesondere Zytostatika, ein gemeinhin eingesetztes Mittel zur Krebsbekämpfung, bei Ablauf der Nutzbarkeitsschwelle neu gekennzeichnet worden sein. In der Folge wurden die derartig gepanschten Medikamente dennoch zum Originalpreis veräußert und gegenüber den Krankenkassen rechnete Herr Stadtmann ab, als hätte er seine Leistung ordnungsgemäß erbracht. Behördliche Kontrollen? Auch diese wurden wohl nicht mit der nötigen Sorgfalt vorgenommen.

Das Landgericht Essen hatte über diesen Fall zu entscheiden, unter anderem prangerte es in seinem Urteil vom 06.07.2018, Az.: 56 Kls 11/17 (305 Js 330/16) an, dass die mangelnden Kontrollen es Herrn Stadtmann leicht gemacht haben.

In dem im Jahr 2018 ergangenen Strafurteil, das zwischenzeitlich im Wesentlichen durch den Bundesgerichtshof bestätigt wurde, stellte das Gericht fest, dass zwischen dem 01.01.2012 und dem 29.11.2016 mindestens 14.564 Medikamente sicher unterdosiert wurden und Herr Stadtmann hierbei absichtlich handelte, sie also selber mischte, oder seine Mitarbeiter auf seine Anweisung hin die Falschdosierungen herstellten. Er tat dies um sein Luxusleben zu finanzieren und gerierte sich dabei auch noch als Wohltäter in der Gemeinde. Dadurch wurden ca. 3.700 Patienten geschädigt. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. Und wie immer gilt: Niemand ist wirklich allein. Hinter all diesen Patienten stehen Bekannte, Freunde und Familie. Viele Patienten verstarben, wobei ein Zusammenhang zwischen etwaiger Unterdosierung der Medikamente oder sonstigen Handlungen von Herrn Stadtmann nicht bewiesen ist. Fest steht nur, sie waren totkrank. Herr Stadtmann wurde aufgrund des nicht nachweisbaren Zusammenhangs und auch des fehlenden Vorsatzes jemanden zu töten oder auch nur in Lebensgefahr zu bringen, nicht wegen Mordes oder auch nur versuchten Mordes verurteilt. Das Landgericht Essen verurteilte ihn wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz und Betrugs. Dafür erhielt er jedoch 12 Jahre Freiheitsstrafe, was für eine Verurteilung in diesem Bereich extravagant hoch ist. Zusätzlich wurde ihm ein Millionenbetrag entzogen und ein lebenslanges Berufsverbot verhängt.

Damit ist jedoch bisher nur die strafrechtliche Perspektive behandelt worden. Dabei geht es um die Beziehung Staat zu Täter und das Strafinteresse des Staates. Oft rücken die tatsächlich Betroffenen und ihre Angehörigen in den Hintergrund und nur der Täter findet rechtlich und tatsächlich Beachtung. Wir haben uns in dieser menschlichen Tragödie für die Hinterbliebenen von verstorbenen Patienten stark gemacht und für ihre Interessen gekämpft.

Zwar ist die strafrechtliche Seite durch die obigen Urteile weitgehend abgehandelt, doch das Leid der Patienten und deren Angehörigen hat auch eine zweite rechtliche Komponente in Form von Schmerzensgeld. Das Zivilverfahren ist das Verfahren für die Betroffenen.

In diesem Zusammenhang sind die Ansprüche wegen Schmerzensgeld gegen Herrn Stadtmann weiterhin aktuell. Herr Stadtmann ist zu allem Unglück der Beteiligten zeitnah nach seiner Verurteilung und den ersten Verfahren auf dem Zivilrechtsweg insolvent gegangen. Das hat zur Folge, dass ein Insolvenzverwalter sich der Sache annehmen musste und nunmehr tausende Geschädigte und Verstorbene sowie beteiligte Krankenkassen ihre Schäden und Entschädigungen beim Insolvenzverwalter geltend machen müssen. Dies ist ein enormer Aufwand, der die gerechte, wenn auch niemals das Leid ausgleichende, Entschädigung der vom Pansch-Skandal Betroffenen oder Hinterbliebenen immer weiter verzögert. Erst Anfang Juni 2022 kam erneut Bewegung in das Insolvenzverfahren, nachdem zu allem Unglück der 1. Insolvenzverwalter verstorben war (an Krebs). Der neue Insolvenzverwalter allerdings hat nun allen Schmerzensgeldansprüchen der Stadtmann-Opfer widersprochen. Das heißt für sie, dass sie nun Gerichtshilfe im Wege von Feststellungsklagen vor dem Landgericht Essen werden suchen müssen, sofern sie ihre Ansprüche weiterverfolgen möchten.

Wir vertreten im Übrigen die Auffassung, dass diese Ansprüche gegen Herrn Stadtmann nicht der sog. Restschuldbefreiung unterfallen und daher von den irgendwann zu ermittelnden Quoten nach Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht umfasst sind. Sie gehören ungekürzt abgegolten.

Ein kleiner Lichtblick hat sich wenigstens durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein-Westfalen aufgetan. Die dort zuständigen Personen und einige bewunderswert gefestigte und engagierte ehemalige Patienten haben sich für die Geschädigten stark gemacht, wodurch ein Opferentschädiungsfonds mit einem Kapital von zehn Millionen Euro eingerichtet wurde. Daraus können nun alle Geschädigten oder, im Fall des Todes der Opfer des Pansches, deren Hinterbliebene, eine Einmalzahlung von 5.000,- EUR beantragen. Ganz unabhängig von ihren sonstigen Ansprüchen gegen den Zytostatika-Betrüger Herrn Stadtmann.

Das Antragsformular finden Sie unter diesem link: https://www.mags.nrw/unterstuetzung-betroffene-bottrop

In Kooperation mit drei Opferanwälten waren wir für einige Betroffene gut drei Jahre bis Mitte Juni 2022 tätig und haben hierbei die Anspruchsbegründung und Bezifferung der zivilrechtlichen Ansprüche erstellt.