Das höchste Schmerzensgeld in der Geschichte deutscher Rechtsprechung, Landgericht Limburg, Urteil vom 28.06.2021, Az 1 O 45/15
Höchstes Schmerzensgeld
15.06.2022
Schmerzensgelder sind in manchen Ländern auch bei „Kleinigkeiten“ exorbitant hoch. Aus den U.S.A. hört man immer wieder geradezu obszöne Summen für verhältnismäßig geringfügige Verletzungen, so z.B. in einem häufig in diesem Kontext genannten Urteil, dass einer McDonalds Besucherin insgesamt 640.000 US-Dollar zusprach, weil sie sich an zu heißem Kaffee die Lippen verbrühte.
In Deutschland wird das zurückhaltender gehandhabt, doch auch hier können Betroffene eine Millionensumme erhalten. Im Juni 2021 urteilte das LG Limburg, dass eine Krankenschwester, ein Belegarzt und das Krankenhaus, in dem sich der Fall ereignete, insgesamt 1.000.000,- Euro an ein schwer geschädigtes Kind zu zahlen haben.
Was ist passiert? Am 22.12.2011 wurde das zu diesem Zeitpunkt nicht einmal zwei Jahre alte Kind in das beklagte Krankenhaus eingewiesen. Es bestand der Verdacht auf Bronchitis, drohende Atemnot, fieberhaften Infekt und Entzündung des Lungengewebes. Sofort wurden notwendige Maßnahmen getroffen. Am Nachmittag des 26.12. ereignete sich bei einer Routinemaßnahme jedoch das folgenschwere Ereignis, das das Leben des Kindes und naher Angehöriger nachhaltig beeinträchtigte und das bisher höchste Schmerzensgeld Deutschlands nach sich zog.
Die Krankenschwester A verabreichte dem kleinen Jungen ein Antibiotikum und eine Kochsalzlösung. Sie verpasste es, sich zu erkundigen, ob der Kleine zeitnah zuvor gegessen hatte und sich daher noch Speisereste im Mund oder der Speiseröhre befinden könnten, obwohl Apfelspalten auf dem Tisch lagen. Mehr noch, auch wenn es zwischen den Parteien (Kind/Eltern vs. Krankenschwester, Ärzte, Krankenhaus) streitig war, befand es das Gericht als bewiesen an, dass das Kind sogar Apfelstücke und Chips aß, als die Krankenschwester den Raum betrat. Die Mutter freute sich ausdrücklich und sagte zur Krankenschwester "Endlich könne er wieder Chips essen". A hätte daher wissen müssen, dass sich Essensreste in der Speiseröhre befinden könnten, da die Verwertung der Nahrung bei einem Kleinkind naturgemäß länger dauere. Es kann nicht kauen. Folglich hätte sie mit der Verabreichung von Medikamenten warten müssen, immerhin ist eine dadurch bedingte Gemütserregung bei dem Kind eine gänzlich absehbare Reaktion.
Und so kam es, wie es in dieser Situation kommen musste. Während der Verabreichung der notwendigen Medikamente fing das Kind an zu schreien. Unablässig. Dann begann der Junge zu husten und lief blau an, um letztlich aufzuhören zu atmen. Er aspirierte Apfelstücke, was zu einer Verlegung der Atemwege führte. Doch damit nicht genug, folgte auf diesen folgeschweren Fehler, auch bei den anschließenden Rettungsmaßnahmen ein Weiterer. Die Anwesenden reagierten sofort, doch konnte die Mutter die Essensreste nicht rechtzeitig entfernen und die Krankenschwester A reagierte aus Überforderung falsch. Sie nahm den Kleinen hoch und fing an ihn zu schütteln. Der Sachverständige führte vor Gericht aus, dass diese Maßnahme sogar kontraproduktiv war. Zwar ist dieses ganze Geschehen auch für A ein dramatisches Ereignis, da sie selbst Mutter ist und als Krankenschwester natürlich keine schweren Schädigung in irgendeiner Weise gutheißt, doch die Folgen für den Kleinen waren verheerend, zahlreich und bei fachgerechtem Verhalten auch vermeidbar.
In Folge dieser Fehler leidet der Kläger heute an den folgenden Krankheitsbildern: Hypoxischer Hirnschaden, infantile Zerebralparese, Epilepsie, Tetraspastik, Hüftluxation, Schluckstörung, Intelligenzminderung ohne aktive Sprache.
Das Kind wird niemals ein auch nur annähernd gewöhnliches Leben führen können. Weder laufen noch sprechen wird ihm jemals möglich sein. Soziale Beziehungen werden dadurch unmöglich. Aufgrund der Epilepsie und der Schluckstörungen sind normale und lebensnotwendige Aktivitäten, wie Essen und Schlafen, mit Angstzuständen verwoben. Krankenhäuser und sonstige medizinische Einrichtungen werden immer Teil seines Lebens sein. Insgesamt wird er 24 Stunden am Tag betreut werden müssen. Eine Änderung zum Positiven ist laut Urteil ausgeschlossen. Beinahe elf Jahre später bekommt der Geschädigte nun zumindest eine Million Euro und darüber hinaus alle kausalen zukünftigen Schäden im Fall ihres Eintritts ausgeglichen.